Justinus Kerner
Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Aufenthalt in Brackenheim
Besonders geschickt zur Heilung meines Leidens hielt man einen damals zu Brackenheim, 5 Stunden von Maulbronn, wohnenden Arzt, und da sich daselbst gerade auch ein sehr tüchtiger Lehrer der alten Sprachen befand und der Dekan des Orts, Uhland (Oheim des Dichters), der Neffe meines Vaters war, so brachte man mich auf mehrere Monate dahin.
Bei all diesem körperlichen Jammer hatte ich meine Elastizität und Munterkeit beibehalten, denn mein Leiden war nie derart, so bleich und mager es mich auch machte, daß ich zu Bett liegen mußte. Es war in mir kein fieberhafter Zustand, der mich verzehrte, es war nur der zu wenige Nahrungsstoff, der in mir haftenblieb, was mich bleich und mager machte.
Der Frühling war da, ich hatte meine Blumenbeete aufs beste angesäet und bepflanzt, als ich nach Brackenheim abgeschickt wurde. Die abermalige Trennung fiel schwer, aber der Aufenthalt im Hause des Dekan Uhland ward mir durch freundliche Behandlung und den Umgang mit dem Sohne, der mit mir in fast gleichem Alter stand, erleichtert. Er hieß Ernst und paarte mit äußerm Ernste und Trockenheit ein sehr gemütliches und joviales inneres Wesen. Wir fanden uns später zu Tübingen auf der Universität wieder, wo wir miteinander im sogenannten Neuenbau wohnten. Er war der redlichsten offenste, treueste Mensch der Welt. Zum Jammer aller, die ihn kannten, starb er schon im frühern Mannesalter, als geschätzter Mensch und Arzt, in meiner Geburtsstadt Ludwigsburg.
Die Fortschritte in meiner Gesundheit durch die Mittel des Brackenheimer Äskulaps waren nur scheinbar oder nichts, das Übel blieb, wie es war; bessere Fortschritte machte ich aber hier in Erlernung der alten Sprachen, denn dieser Lehrer gehörte unter die besten jungen Schulmänner der damaligen Zeit. Er paarte Strenge mit Wohlwollen. Er war oftmals unser Führer auf den Spaziergängen und beim Bade in den frischen Wellen der Zaber, das mir meiner Gesundheit wegen vorgeschrieben war. Eine Ohrfeige, die ich einmal von ihm erhielt, bleibt mir noch jetzt schmerzlich im Gedächtnis. Es geschah mir damals fast wie dem Knaben, der »vox populi, vox Dei« mit den Worten »die Stimme der Pappel, die Stimme Gottes« übersetzte, und dieser hatte doch gewiß recht.