Justinus Kerner
Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Des Vaters Tod
Die Kräfte meines Vaters schwanden immer mehr, und er machte sich bald selbst keine Hoffnung zu einem Aufkommen. Seinen Tochtermann, den Pfarrer Zeller, damals zu Wiernsheim, nicht weit von Maulbronn, hatte er öfters zu fernen Ärzten um Rat geschickt.
Wenige Wochen vor seinem Tode dachte er dafür einen freundlichen Dank für ihn aus. Er hatte (wie schon erwähnt) in seiner Gemäldesammlung ein sehr gut in Öl auf Holz gemaltes Kniestück, Lebensgröße; es stellte den Cimon im Kerker vor, wie er sich an der Brust seiner Tochter nährte. Dieses sandte er dem Tochtermann mit folgenden Zeilen:
»Sie haben sich durch Ihre Gutmütigkeit bemühet, mich aus der Gefangenschaft meines Krankenzimmers zu retten; empfangen Sie dafür zum Andenken dieses Sinnbild kindlicher Liebe. Bewahren Sie es und denken Sie dabei, was kindliche Liebe bei Ihnen nicht vermochte, vermochte endlich der erbarmende Engel des Todes.«
Wenige Tage vor seinem Tode diktierte er seinem Schreiber einen Abschied an Frau und Kinder. Es möge hier aus demselben nachstehendes Platz finden.
»Liebste Ehefrau!
Du hast mir in Deinem Leben viele Liebe erwiesen, auch an dem Rande des Grabes danke ich Dir. Ich bitte Dich, so sehr ich Dich bitten kann, betrübe Dich über meinen Tod nicht zu sehr, betrage Dich als eine vernünftige Christin und denke, daß Du der Vorsehung nicht widerstreben kannst. Es mußte so sein, und Gott nur weiß warum – und es wird gut sein.
Ich wünsche, daß Du nach meinem Tode wieder nach Ludwigsburg ziehest. Verwandte, Freunde und Bekannte werden Dir dort Deine Einsamkeit erträglicher machen.
Lebest Du sparsam, wie Du ja tun wirst, so hoffe ich, daß Du von dem noch vorhandenen Vermögen und dem Witwenkassengehalte werdest leben können. Man möge Se. herzoglichen Durchlaucht um eine Pension für Dich bitten; denn ich diente 30 Jahre, und die Oberamteien sind nicht so beschaffen, daß ein Mann ohne großes Vermögen, der streng und uneigennützig handelt, mit einer großen Familie, auf ihnen sich Vermögen schaffen könnte, der Ausgaben sind zu viele!1)
Ist mein Körper erblaßt, so kann man eine Sektion an ihm vornehmen, um meiner Kinder willen; sodann aber ist er ohne die mindeste Zierde eines Sterbekleides in den blauen Schlafrock einzukleiden, den ich ohnlängst von meiner lieben Frau erhalten. Der Sarg, in den man ihn legt, soll nur von Tannenholz sein, braun angestrichen. Man soll meine Chaise abdecken, den großen Bock aufschrauben und meinen Sarg morgens 5 Uhr, wo mein Begräbnis veranstaltet werden soll, darauf legen.
Niemand soll mich zu Grabe geleiten als meine Söhne, mein Tochtermann und Herr Professor Mayer. Zur Tragung des Sarges vom Kirchhoftore bis zum Grabe soll man acht arme Männer bestellen und belohnen. Keine Trauerrede soll man, weder in der Kirche noch auf dem Grabe, halten, sondern einzig auf ihm ein stilles Vaterunser beten.
In der nächsten Amtsversammlung soll man den Amtsvorstehern und Bürgern, die mir während meiner Amtsführung ihr Vertrauen schenkten, dafür danken und sie versichern, daß meine Absicht immer gewesen, das Wohl des Amtes zu befördern, daß ich aber unter vorliegenden Umständen nur weniges Ersprießliches hätte ausrichten können.«
An jedes seiner Kinder richtete er in diesem Abschiede noch Worte der Belehrung und Liebe. Von mir heißt es:
»Du liegst mir schwer auf dem Herzen, daß ich nicht mehr für Dich sorgen kann. Dein Oheim wird Vaterstelle an Dir vertreten; sei diesem und Deiner Mutter gehorsam. Dein Glück kannst Du in der Welt allein durch gute Aufführung und Fleiß in Deinen Studien machen. Wähle Dir einen Beruf, zu dem Du einmal Lust hast. Ich scheide mit schwerem Herzen von Dir! Gott segne Dich!« Dann schloß er: »Meinen Geschwistern, Anverwandten, Freunden und Bekannten sage ich meinen innigsten Dank und empfehle ihnen meine liebe Frau und Kinder. Endlich empfehle ich meinen Geist in die Hand des allgütigen Gottes!«
Noch kurz vor der Stunde seines Todes empfing er in Gemeinschaft mit meiner Mutter das heilige Abendmahl. Er nahm die heilige Hostie, vermochte sie aber nicht mehr zu genießen; da nahm meine Mutter sie von seinem Munde und genoß sie für ihn unter Gebet und Tränen.
Sein Begräbnis wurde veranstaltet, wie er befohlen. Ein Fruchtbaum aus seiner Baumschule wurde ihm aufs Grab als Monument gesetzt. Darauf herrschte Totenstille im Hause. Ich floh zu den Bäumen meines Vaters und zu meinen Blumen. Die Trauer der Mutter machte mich noch trauriger; ich vermied sie, bis endlich der Verkauf der überflüssigen Hausgeräte und die Veranstaltung zur Abreise nach Ludwigsburg das jugendlich bewegliche Gemüt in Zerstreuung und in den Tumult des Lebens zurückbrachten. Ich hatte das 13. Jahr erreicht.
Zur Zeit, als mein Vater den Dienst als Oberamtmann zu Ludwigsburg antrat, mußte man für alle Dienste in die Privatkasse des Herzogs Carl eine Summe entrichten, mein Vater damals die beträchtliche Summe von 6500 Fl. Später verlor er noch 4000 Fl. durch Anlehen an Freunde. Meine Mutter kam nach seinem Tode um eine Pension ein, erhielt aber keine, und die Witwenkasse, es war die von Hanau, aus der für sie mein Vater etwas gehofft hatte, fallierte bald nachher.