Justinus Kerner

Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Die Malerin Simanowitz und zwei andere Freunde


Auch eine originelle Bewohnerin Ludwigsburgs war die Malerin Simanowitz. Oft traf ich sie in dem Hause des Chemikus, besonders zur Zeit, als sie sein und seiner lieben Käthi (so nannte sich des Chemikus Frau) Bildnisse in Öl malte in ihrer freien, geistreichen Weise. Der Schönheitssinn erlaubte ihr wohl nicht anders, als daß sie den Chemikus im Profil darstellte, und zwar auf der Seite, wo er noch ein Auge hatte.

Aber es war in des Chemikus Auge auch das Leben des erloschenen Auges sichtbar getreten, es drückte sich in seinem einzigen Auge so viel Leben aus, daß man bald den Mangel des andern nicht wahrnahm, und so meinte ich, hätte sie ihn wohl auch en face abbilden können. In ihren Bildern lag eine ausnehmende Zartheit, der es doch nicht an Kraft und Wahrheit fehlte; es waren Charakterbilder ohne ängstliche Auffassung der einzelnen Züge. Die Kunst der Malerei war dieser Frau angeboren, nicht angelernt. Durch häufigen Umgang mit Künstlern und vielen ausgezeichneten Männern, die zum Teil noch aus der Carls-Akademie vorhanden waren, und durch mehrere Kunstreisen nach Paris gewann sie an Kunst und wissenschaftlicher Bildung immer mehr.

Die Greuelszenen der Französischen Revolution erlebte sie in Paris, wo mein Bruder Georg, über den sie die schon angeführten Worte schrieb, oftmals ihr Begleiter und Beschützer war. Der Vater Schillers war ihres Vaters vieljähriger Kamerad, und schon in früher Kindheit war sie dadurch Schillers Gespielin und nahm an seinem ersten Unterrichte teil. Auch der Freundschaft des genialen Malers Wächter hatte sie sich zu erfreuen. Neben dieser ihrer Kunst übte sie die Pflichten einer sorgsamen, treuen Gattin an einem braven, aber immer kränklichen Manne und war die verständigste und dabei bescheidenste Hausfrau. Ihre Gesichtszüge waren nicht regelmäßig, aber ansprechend durch Geist, Sanftmut und Wohlwollen, die sie ausdrückten.

Der Sohn eines Lederfabrikanten in Ludwigsburg, Jonathan Hellmann, war der Freund meiner Brüder.

Er war selbst Gerber und übte diese Kunst bei seinem Vater mit Kenntnis und Umsicht aus. Dabei hatte er sich durch Erlernung von Sprachen und Selbststudien der Geschichte, Politik und Dichtkunst einen hellen Verstand, eine nicht gewöhnliche Bildung verschafft und bei den wissenschaftlichsten Männern Geltung erhalten. Er war um ein gutes älter als ich, nahm sich aber meiner in Liebe an. Ich traf ihn oft bei Staudenmayer. Werners »Söhne des Tales«, die damals zuerst erschienen waren, erhielt ich durch seine Mitteilung, und so auch das merkwürdige Buch »Dia-na-sore« von Herrn von Meyern, welchen geistreichen Mann ich später persönlich kennenlernte; was mir um so merkwürdiger war, da für diese seine Schrift mein Bruder Carl besonders schwärmte. Bei Hellmann und Staudenmayer fand ich auch oft den schon erwähnten, mir freundlichen Militärarzt (nachherigen Armeearzt) Dr. Constantin. Beide Männer freuten sich meiner wissenschaftlichen Strebungen und bedauerten meine Lage in jener Tuchfabrik unter so verdorbenen Menschen und geisttötenden Beschäftigungen.